Die Zone “Dui”: Pensionierung/Zukunft

 Unserem  gegenwärtigen westlichen Altersbild entsprechend, sind „Pensionierung“ und „Zukunft“ eher Gegensätze als eine Einheit. Nicht jedoch in der Philosophie des FengShui, die in sich stark strukturiert ist. Die Energiequalitäten eines Lebens, eines Jahres, eines Tages, eines Organs, eines Menschen, einer Zeitspanne, eines Hauses, einer Farbe etc. werden in 9 Zonen eingeteilt. Diese 9 Zonen stehen in einer wechselseitigen Verbindung zueinander und haben je nach Zeitspanne einen kleineren oder grösseren Einfluss auf das Ganze. Sie sind einem steten Wandel unterworfen, bleiben jedoch immer an ihrem angestammten Platz der gesamten Ordnung. In der Zone „Dui“ liegt sowohl die „Zukunft“, als auch der „Herbst des Lebens“. Für uns Menschen im Westen, die vorwiegend über einen einzigen Lebenszyklus nachdenken, mag dies gegensätzlich wirken. In der Chinesischen Philosophie wird jedoch ein Menschenleben eingebettet zwischen der Vergangenheit der Ahnen, die in jedem Haus durch ihren Schutz anwesend sind, und der Zukunft der kommenden Generationen, die bei der Lebensgestaltung mit einbezogen werden. [1]

Im Wissen, dass die künftigen Generationen uns Gegenwärtige als Ahnen angehen und um Schutz und weise Unterstützung bitten werden, ist unser Tun durchaus auch im Herbst des Lebens wichtig und zukunftsbestimmend. Nicht zu vergessen ist, dass laut der Chinesischen Philosophie alles mit allem verbunden ist. Nicht nur werden wir stets durch den Zeitgeist geprägt, sondern prägen durch unsere Gedanken, unsere Worte und unser Tun selbst den Zeitgeist, im Herbst des Lebens auch das Altersbild unserer Enkelgeneration.

Als Lebensabschnittaufgabe sind wir deshalb in „Dui“ aufgefordert, unsere Erfahrungen, unser Wissen und unsere Erkenntnisse weiterzugeben, damit sie künftigen Generationen dienen können. Dabei geht es nicht um die eigenen Kinder, weil diese noch mit dem Finden des eigenen Weges und der Abgrenzung zu den Eltern beschäftigt sind. Offener für Nützliches aus alten Tagen sind spätere Generationen. Deshalb reisen wir gedanklich in die Zukunft und fragen uns, welche prägenden Spuren wir  unserer Enkelgeneration nach unserem Tod  hinterlassen haben.

Bevor wir jedoch unsere Weisheiten an künftige Generationen weitergeben können, fordert uns „Dui“ auf, uns zuerst selbst auf den Grund zu gehen und uns unserer inneren Schätze bewusst zu werden. Es geht auch darum, unsere Motivation für das Mitteilen kennen zu lernen, damit wir Machtansprüche ausschliessen können, um stattdessen unvoreingenommen und wohlwollend beraten zu können.

Das Kennenlernen unserer persönlichen Lebensmotivation hilft uns zudem, den Wechsel vom Beruf zur Pensionierung harmonisch zu vollziehen. Denn auch,  wenn eine Frühpensionierung angestrebt wurde und auch, wenn man sich auf diesen Tag vorbereitete, kann der Tag der Pensionierung ein mulmiges Gefühl aufkommen lassen. Mit der Pensionierung verlieren wir nicht nur die Tages- und Jahresstruktur,  die Macht und Machtausübung, einen wertvollen Status und Statussymbole, sondern auch ein soziales Netzwerk, ein Zugehörigkeitsgefühl und die Wertschätzung eines Berufsmenschen. Mit einem Schlag gibt es nach der Pensionierung 9 – 11 Stunden freie Zeit. Der Tag kann ohne Plan genossen werden, alle Freiheiten können nach Lust und Laune ausgekostet werden, das Leben scheint ein riesiger Spass zu sein. Doch sind sich auch westliche Fachleute einig, dass wir Menschen trotz Pensionierung mehr als Spass und Zerstreuung benötigen, um gesund und zufrieden zu bleiben. Dabei geht es um:

  • Wertschätzung durch das eigene Tun
  • Das Gefühl, gebraucht zu werden
  • Herausforderungen, die dem eigenen Können entsprechen
  • Visionen und Ziele
  • Ein soziales Netz
  • Ein Zugehörigkeitsgefühl in einer Gruppe
  • Das Fördern der eigenen Talente
  • Das Entdecken der eigenen Kreativität
  • Eine Jahresstruktur
  • Das Gefühl, dem eigenen Leben einen Sinn zu geben.

Auch bei uns im Westen werden deshalb Rentner aufgefordert, sich für die Enkelgeneration zu engagieren. Ob wir in einem Klassenzimmer mithelfen, eine Startup-Firma unterstützen, Jungunternehmern unter die Arme greifen, in generationsübergreifenden Foren mitmachen, uns Zeit und Geduld für die Anliegen von gestrandete Jungen nehmen  oder die gestressten Eltern durch die Betreuung der Enkel unterstützen, spielt keine Rolle. Es geht dabei immer um die aktive Gestaltung der Zukunft und auch um das eigene Wohl, weil uns diese Hingabe innere Zufriedenheit schenkt.  „Dui“ fordert uns  deshalb auf, den Herbst des Lebens nicht zum passiven Lebensabend werden zu lassen und die Zeit für die Zukunftsgestaltung zu nutzen.
In diesem Sinne bilden Zukunft und Pensionierung eine Einheit.
Blandine-Josephine Raemy-Zbinden
Oktober 2016


[1] Kennen Sie die Geschichte des alten Chinesen, der mit einer Schubkarre Erde hinter sein Haus führte? Als er gefragt wurde, was er damit wolle, erklärte er, dass er einen Berg gestalte. Herabschätzend wurde er darauf hingewiesen, dass er  alleine keinen Berg aufbauen könne. Er aber lächelte und sagte: „Ja, das stimmt, aber meine Söhne, meine Enkel und meine Urenkel werden auch daran arbeiten und irgendwann wird hier ein Berg stehen.“

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